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Endlich nach Grimsey

Eigentlich wollten die Waliser doch spätestens 1 Minute vor Mitternacht, also noch am Donnerstag, nach Grönland aufbrechen. Denn freitags einen langen Schlag zu beginnen bringe Unglück, sagten sie uns, schelmisch lächelnd.

Als wir früh um 8 die Leinen loswerfen herrscht in UK noch Totenstille. Es ist also auch auf den Vorposten des Königreiches nicht mehr weit her mit dem seemännischen Aberglauben.

Die See im großen Fjord vor Husavik ist glatt, kein Wind von überall. Wir sind uns sicher: Heute ist Waltag. Die „frühen Vögel der Walbeobachter“ sind mit ihren schnellen Schlauchbooten schon weit draußen in der Bucht. Wenn die Jagdglück haben, bekommen wir etwas davon ab. Wenige Minuten später taucht eine neugierige Familie Weißschnauzendelfine neben uns auf und begleitet uns ein Weilchen. Wir sind ganz gerührt von der ersten nennenswerten Begegnung mit den eleganten Meeressäugern und schauen verträumt aufs Wasser, als in nächster Nähe ein Blas aufstiebt. Ein großer Wal mischt sich ins Geschehen und zeigt seinen langen Rücken. Er bleibt dicht unter der Oberfläche und wir können beobachten, wie er sich von hinten an uns heranpirscht, bis unmittelbar hinter unsere Badeplattform am Heck. Deutlich sind die Umrisse des Riesen erkennbar. An den langen weißen armartigen Flossen können wir ausmachen, dass ein Buckelwal uns verfolgt. Aber dann taucht er ab, unter uns hindurch und neben uns wieder auf. Doch offenbar langweilen wir ihn. Er macht noch einen Buckel, zeigt seine Fluke und verschwindet in der Tiefe. Puh, was für ein Schauspiel. Wir atmen tief durch, ganz geheuer war uns das nicht, der Kleine war fast so lang wie wir, und wer weiß, wie er auf Touristen zu sprechen ist.

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Noch ganz im Bann dieser Begegnung erkennen wir mehrere Blas(e?) voraus. Zwei weitere Buckelwale sind besser aufgelegt und in Spiellaune, springen und schlagen ihre langen Flossen aufs Wasser. Kurz darauf reckt ein Wal mehrere Male sein gewaltiges Hinterteil in die Luft und knallt die Fluke in die Wellen. Leider sind wir zu weit weg, um heraus zu bekommen, welcher Kollege der schwimmenden Zunft diesmal so erfolgreich zu unserem Vergnügen beiträgt. Nun setzt auch noch der gewünschte Segelwind ein. Besser kann unsere Überfahrt nach Grimsey nicht laufen.

Grimsey, dieses Inselchen im Norden Islands, das vom Nordpolarkreis durchquert ist, geistert schon seit Jahren durch unsere Köpfe. Wir haben wohl  in den letzten Jahren eine kleine Vorliebe für die entlegeneren Inseln entwickelt. So war es folgerichtig, dass wir bei dieser Reise unbedingt dorthin wollten. Dieser Wunsch wurde dann noch durch die Lektüre von Ulrich Schachts kleiner Novelle namens „Grimsey“ erneut befeuert. Und da sind wir nun, laufen auf eigenem Kiel nach 35 sm, die letzten 10 mit richtig Karacho, in den kleinen Fischerhafen ein, dürfen vorübergehend, bis Entladearbeiten anstehen, am Fischerkran liegen.

Ganz allgemein: Gästeplätze gibt es in diesen Fischerhäfen nicht. Wozu auch. In den 3 Sommermonaten kommt hier im Schnitt höchstens täglich ein Segler. Es sind hier alles reine Arbeitshäfen. Man muss sich mit den Fischern und dem Hafenmeister arrangieren. Da in Island alle Fische dem Staat gehören, haben die Hafenmeister hier die verantwortungsvolle Aufgabe, sämtliche Fischbeute aller Fischer zentral anzunehmen, zu wiegen und zu registrieren, und nebenher den Bootsverkehr zu ordnen und die Liegezeiten und -plätze zu organisieren. Die Fischer kümmern sich nur noch um das Fischen. Wir haben den Eindruck, dass diese Regelung, wenn wir sie richtig verstanden haben, sehr sinnvoll ist.

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Die Insel ist 5,5 Quadratkilometer groß und liegt wie ein leicht angekipptes Podest schräg im Meer. Die hohe Kante wird von 100 m hohen Vogelfelsen gebildet, die andere läuft flach zum Ufer aus und hat in den vielen kleinen Buchten Sandstrände. Was für eine Verschwendung. Keine 100 Menschen wohnen hier, im Winter nur 35. Die Versorgungsfähre, mit Platz für 100 Personen und 3 Autos, kommt 3 x wöchentlich, bringt ein paar Touristen und Waren des täglichen Bedarfs und holt den Fisch. Ansonsten: etwa 20 Fischerboote aller Größen, Schule, Kirche, Konsum, Kneipe, guesthouse am Flughafen!, 3 km Straße, mindestens 25 schwere offroad-Fahrzeuge, Tankstelle, Schwimmbad mit hot pot, Fußballplatz, mit der gleichen Neigung wie die gesamte Insel, Schafe, Islandpferde, Leuchtturm, 150.000 Seevögel und der berühmte Breitengrad: 66 Grad Nord, 33 Minuten, hier beginnt die Arktis.

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Kein Baum. Wiesen. Und unendliche Ruhe. Obwohl fast immer der Wind heult und die ewigen Wellen donnernd bis hoch über die Klippen schlagen. Ein funktionierender Mikrokosmos am Ende der Welt, mit einem eigenen Licht, einem eigenen Duft, der über den huckeligen Wiesen liegt, einem besonderen, schwer zu greifenden und zu beschreibender Zauber. Man fühlt sich der Welt noch entrückter und einander und auch sich selbst noch näher. Vielleicht geht es den Einheimischen ja ebenso. Der Wohlstand ist sichtbar und sie machen auf uns den Eindruck, als wären sie sehr mit sich im Reinen und zufrieden mit ihrem abgeschiedenen Dasein.

Eine Vorstellung, was es bedeutet hier zu leben, erlangen wir trotz des 3tägigen Aufenthaltes hier sicher nicht.

Dem alten Fischer schnorren wir 2 fangfrische Dorsche ab. Gekehlt und ausgenommen kommen die schon an Land, wir müssen sie nur filetieren und ab, in die Pfanne, mit Butter, und frischen Kartoffeln. Ein Hochgenuss!, für 2 üppige Abendessen.

Klar, der „heiße Topf“ im Schwimmbad ist obligatorisch.

Wir durchstreifen die Wiesen, die frühlingshaft geblümt sind und in denen bevorzugt die Küstenseeschwalben nisten. Die hübschen Biester erweisen sich als äußerst aggressiv gegenüber Eindringlingen in ihre Brutgebiete und greifen diese im Sturzflug unter lautem Geschrei tätlich an. Verständlicherweise können sie harmlose Touristen nicht von den einheimischen Eierdieben unterscheiden. Wenn man jedoch bedenkt, dass sie zum Brüten 20.000 km aus dem Südpolarmeer hierher geflogen kommen, kann man ihre Humorlosigkeit wiederum verstehen. Da sie immer den höchsten Punkt anvisieren, halten wir, in Ermangelung hier üblicher Regenschirme, die Griffstücke der Dinghipaddel zur Irreführung und Abwehr in die Luft. Obwohl Anke neben mir nichts zu befürchten hat, will sie sich mit diesen aufgeregten Schreihälsen trotzdem nicht anfreunden.

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Wir erlaufen noch jede Kerbe an den Ufern entlang, picknicken am knallorangefarbenen Leuchtturm, schauen von “ oben“ auf Island und seine alpine Nordküstenkulisse mit ihren schneebedeckten Tausendern, kneifen uns und uns überfällt kindische Freude über die Erfüllung dieses kleinen albernen Traumes.

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Galerie Grimsey:

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