Wir tauschen ein C gegen ein R Iceland – Ireland

Wir tauschen ein C gegen ein R: Iceland – Ireland

Samstagnachmittag starten wir, zu unserem ersten richtig langen Schlag. Wir haben Atzes Idee, die Azoren jetzt auszulassen und in den zweiten Teil unseres Jahresurlaubs einzuflechten, d.h.: Azoren im Frühling, dankbar aufgegriffen und den Reiseplan spontan geändert. Also: Irland, Westküste, was die Strecke auf „nur“ 850 sm halbiert. Somit liegen nur 7 – 8 Tage Nordatlantik vor uns. Sonne, passender Nordwind und klare Sicht auf die isländische Südküste bescheren uns einen traumhaften Törnstart und Abschied von Island. Der Sommer neigt sich in diesen Breiten dem Ende zu, es wird bereits für wenige Stunden dunkel nachts. Während unseres letzten Schlages nach Reykjavik vor 2 Wochen lag zwischen Sonnenunter- und aufgang noch eine schummerige Dämmerung.

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Allmählich schrumpfende Berge und kegelige Vulkane und verwehende Rauchsäulen erinnern uns an die vergangenen Sommerwochen, die mit nachhallend eindrücklichen Erlebnissen prall gefüllt wurden. Wir sind emotional hin- und hergerissen zwischen Wehmut und neugieriger Vorfreude. Und als wollte sich die wildschöne Nordinsel gebührend von uns verabschieden, lässt sie plötzlich grüne Polarlichter in ihren Nachthimmel pinseln, die wie wehende und winkende Feentücher über das Firmament tanzen. Danke Island, für diesen überraschenden und unvergesslichen „Bonustrack“.

Die Nacht war entsprechend kurzweilig, der Wind trieb uns mit 5 – 6 bft nun schon fast 24 h stetig nach Südosten, Peter steuert zuverlässig und präzise, und wir versuchten den Bordalltag für die vor uns liegende Woche einzurichten. Anke schlief im Salon, ich saß Wache schiebend draußen, passender Weise in die Lektüre von Zweigs „Magellan“ vertieft. Ein bisher ungekanntes schnaubendes, laut prustendes Geräusch unmittelbar hinter mir ließ mich aufschrecken. Der Urheber war schnell ermittelt: ein paar Meter neben uns stand die Blassäule eines riesigen Wales in der Luft. Die Wölbung eines unendlichen Rückens zog elegant durchs Wasser und verschwand unter FreiKerl. Hektisch weckte ich Anke, wechselte die Seite um dort zwei dieser Giganten direkt am Boot auftauchen zu sehen, was den Adrenalinspiegel schlagartig auf 100 katapultierte. Die beiden waren deutlich länger als wir, aber sie kamen in friedlicher Absicht, mussten wohl ihre Neugier kurz befriedigen um dann gleich wieder in der Tiefe zu verschwinden. Wir waren völlig gebannt, und es dauerte ein längeres Weilchen, bis wir in der Lage waren Dank Atzes Merressäugerbestimmungsbuches zu ermitteln: Finnwale, können bis 27 m lang werden, (also FreiKerl x 2), Kenntnisse über kulinarische Vorlieben für Segelpaare liegen nicht vor.

Der Wind schwächelt, der Nanni muss ran und Autopilot „Helga“ das Steuern übernehmen. Der Autopilot hatte in den letzten Wochen gemuckert. Unser erster Verdacht fiel auf einen defekten Fluxgatekompass. Zwecks Fehlersuche hatten wir in Reykjavik das halbe Boot zerlegt, telefonisch schon einen neuen Kompass aufgetrieben, und letztlich eine lose Steckverbindung am Autopiloten gefunden, was uns einen Tag Arbeit gekostet und 300 € für den neuen Kompass gespart hat. Nach anderthalb Tagen ist der Wind zurück, und mit ihm grauer Himmel und unangenehme kurze Wellen, die sich nach kurzer Zeit auf 3 -4 Meter aufbauen. Wir kommen zwar gut voran, die Bewegungen im Boot erschwerten jedoch jeden Handschlag, was sich sehr gut an der zunehmenden Anzahl blauer Flecke absehen lässt. Eine Tasse Tee einzugießen wird zur artistischen Herausforderung: schluckweise gießen, wenn die Tasse vorbeikommt, ohne sich zu verbrühen. Den Zucker spart man sich geflissentlich. Alles muss gesichert sein; was herumliegt, wird zum Geschoss. Eine sich zufällig an der Bordwand brechende Welle hört und fühlt sich an, als gäbe es im Boot eine Explosion; den auf dem Kühlschrankdeckel stehenden rutschfesten Teller hat es quer durch den Salon vor die Lotsenkoje geschossen. Die Vielzahl der temperaturbedingt notwendigen Kleidungsstücke, die einhändig (zweite Hand zum festhalten) aus – und angezogen werden müssen, erfordert zwingend den rechtzeitigen Beginn des Toilettenganges. Der Strahl des Wasserhahns pendelt in einem breiter werdenden Fächer, oft über den Beckenrand hinaus. Wie sagt Atze: „Der Nordatlantik ist kein Ponyschlecken.“ (Nachfragen bitte an den Urheber richten)

Warum tut man sich das an! Natürlich wissen wir es und müssen uns nur erinnern, wir haben die Antworten schon so oft gefunden und gegeben, aber die Frage drängt sich immer wieder auf.

Und der Peter steuert sich `nen Wolf!

Wir lieben unseren Steuermann, der uns erlaubt, halbwegs geschützt unter der Sprayhood sitzen zu dürfen.

Die rauen Bedingungen bleiben uns des nachts erhalten. Es ist stockfinster. Kein Mond, kein Stern. Wir sitzen in unserer Bootszelle wie in einer Blase und rauschen im Blindflug durch das uns umhüllende konturlose Schwarz von Wasser und Himmel, ohne Bezug zu Raum und Zeit. Nicht mehr zu sehen, was, woher und in welchem Maße etwas auf einen zukommt, erhöht durchaus unsere Spannung und Anspannung. Wellenberge rollen auf uns zu, schauten überlegen von oben auf uns herab, was ich gar nicht mag!, heben uns lässig an und lassen uns gleich darauf in ein weites Wellental rutschen, und so geht es stundenlang. Aber es kommt wie immer, alles beruhigt sich auch wieder, und wie so oft, schießt das Pendel übers Ziel hinaus. Kein segelbarer Wind bleibt übrig. Helga löst den Peter ab. Und wir lieben auch unsere Steuerfrau. Dank ihrer wieder gefundenen Zuverlässigkeit können wir es uns überwiegend im Salon gemütlich machen.

Auf halber Strecke stelle ich beim nächtlichen Befüllen des Tagestanks fest, wir haben Wasser in der Motorbilge. Etwa 10 cm, Salzwasser. Die sind schnell rausgepumpt, aber wir finden die Ursache nicht. Uns bleibt nur, sämtliche Schellen zu prüfen und nachzuziehen und die Bilge regelmäßig zu kontrollieren. Abgesehen vom neuerlichen Adrenalinschub und einer gewissen Verunsicherung springt bei dieser Aktion zumindest eine sehr kurzweilige Nachtwache heraus.

4.Tag: Unser Satellitenwetter funktioniert nicht. Der Testlauf mit der Iridiumverbindung in Reykjavik und der erste Versuch am 2. Tag waren erfolgreich, aber nun geht nix mehr, warum auch immer. Wir müssen es also nehmen, wie es kommt.

Immer, Tag und Nacht, bei jedem Wetter an unserer Seite sind unsere Freunde, die Eissturmvögel. Sie zu beobachten, in ihrem präzisen athletischen Flug, knapp über der Wasseroberfläche gleitend, jede Welle millimetergenau austanzend, unermüdlich und überlegen, gehört zu den Vergnügungen der Atlantiktage, wohl wissend, dass ihre Nähe kein Land verkündet. Und nun gesellen sich neue Freunde hinzu. Fast ununterbrochen, zu jeder Tageszeit, bis weit in den Shannonfluss in Irland hinein, begleiten uns Delfine in kleinen Familien und großen Schulen. Unermüdlich, stundenlang umspringen sie unser Boot, spannen sich vor den Bug, als wollten sie uns voranziehen, zischen unter uns hindurch, legen sich auf die Seite, um zu schauen, wer sie bei ihrer eleganten, scheinbar mühelosen Jagd durchs Wasser so begeistert und ausdauernd zusieht. Bei all den Sprints und Sprüngen haben die wunderbaren Schwimmer offenbar noch genug Luft für ausgiebige Konversation. Ihre fiepig-pfeifende Unterwasserverständigung wird im blechernen Bootsrumpf wundersam verstärkt, uns so kündigen sie gewissermaßen ihr Kommen, ihre Nähe an. Stunden verbringen wir an der Reling, am Bug, ständig die Seiten wechselnd, mit dem begeisterten Bestaunen dieses tierischen Schauspiels. Die Krönung bietet sich uns vor allem während der letzten Nacht, wo das Meer offenbar besonders stark mit lumineszierenden Mikroorganismen angereichert ist. Die Nacht ist sternenklar und mondlos, also recht dunkel, was dem folgenden Schauspiel sehr zugute kommt. Die wie wild jagenden und springenden Delfine, eine große Schule, bringen das Wasser um uns und vor uns zum Schäumen, und damit zum Leuchten und das Weiß der Gischt und der Spritzer reflektieren tausendfach die Lichtpunkte der „Leuchtalgen“. Ihre Bewegungen unter Wasser reichen aus, um sie in einer erleuchteten Aura schwimmen zu sehen, viel besser als am Tage. In der Gischt glitzern unzählige Leuchtpunkte, wie Lichtwolken, und wenn sie nach einem Sprung wieder eintauchen, sieht es aus, als explodiert an dieser Stelle das Wasser. Überall um uns stieben Lichtblitzwolken auf, weit voraus im völligen Dunkel erscheint es uns besonders absurd. Was für eine fantastische Ergänzung der Lebewesen in diesem Element. Und die Delfine toben herum und tummeln sich, als wüssten sie sehr genau um diesen Effekt, diese imposante, physikalisch verrückte Wirkung ihrer beider Zusammenspiel, nicht nur für uns, auch ihres eigenen Vergnügens willen.

So hält diese Überfahrt alle erdenkliche Abwechslung bereit und entpuppt sich als kurzweiliger, als wir uns anfänglich vorzustellen vermochten. Für die letzten 36 h blieb uns der Wind vollständig aus, motorten wir bei sich beruhigender See Irland entgegen. Die Temperaturen stiegen auf nächtliche 14 Grad, was wir nach den letzten 4 Monaten im Norden als sommerlich lau empfanden und die Kleiderordnung anpassten, (was den erwähnten Toilettengang auf die halbe Zeit verkürzte). Windstille und blauer Himmel ließen uns frohlocken, die irische Küste schon aus zig Meilen Entfernung aus dem Meer auftauchen und wachsen zu sehen. Aber wie immer, wie vor den Shetlands, den Färöern und auch vor Island: die Küste hüllt sich in Nebel und Dunst. Während wir die isländische Küste zum Abschied noch mindestens 80 sm sehen konnten, versteckt sich Irlands Westküste bis zur Einfahrt in den Shannonfjord. Aber auch dann ergibt es sich, wie wir es kennen, in der Einfahrt reißt der Himmel auf und offenbart seine schöne, felsige Steilküste, bedeckt von sattgrünen Wiesen und Feldern. Die Shannonmündung ist gewaltig.

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Wir motoren bald gegen mit 4 – 5 kn ablaufendes Wasser, ausgeprägtes Tidenrevier eben. Aber es ist warm, nein heiß, wir sitzen kurzärmelig, ohne Segelzeug, auf dem Süllrand und freuen uns des Sommers, in den wir hinein geraten sind. Seit unserer Abreise aus Deutschland Anfang Mai begleiten uns annähernd konstante Temperaturen, durchschnittlich 10, höchstens 15 Grad an Land, auf dem Wasser zwischen 7 und 10.  Aber so lassen sich die 15 sm bis Kilrush, dessen geschützte Marina nur über einen schmalen Chanel erreichbar und gegen die 4,50 m Tide durch eine Schleuse geschützt ist, aushalten. Der freundliche Schleusenwart ist auch der Hafenmeister der Marina, und nach erstem Erfahrungsaustausch des Woher und Wohin bekommen wir schon hier unseren Liegeplatz zugewiesen und erste Informationen. Allerdings sind wir uns unseres richtigen Verstehens auf Grund der Sprechgeschwindigkeit und des ausgeprägten (Irischen?) Akzentes nicht so ganz sicher. Wir werden sehen.

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Nach 6 Tagen und 23 Stunden ist FreiKerl fest am Ponton, außen salzverkrustet, unaufgeräumt und vollgekrümelt, klamm von der hohen Luftfeuchtigkeit (ich hätte meine Zigarren zum Inhalieren rauslegen sollen), mit salzverklebten Böden innen … und wir geschafft und glücklich.

Der irische Nachbarlieger fragt auch sofort nach dem Woher. Aus Island! Wow! Congratulations, and an lot of questions, und, ob wir irgendetwas brauchen … Wahrlich, ein freundlicher Empfang auf der grünen Insel.

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Galerie Überfahrt

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