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Irland. Und immer: „West“

Wir planen einen 130 sm-Schlag südwärts und warten auf ein passendes Wetterfenster, denn zuerst müssen wir gen West aus dem Shannon heraus auf die offene See. Aber es herrscht immer: West. Aidan von der „Andella II“ rät uns ab und zu kurzen Etappen. Anke ist ihm für diesen Rat noch heute dankbar. Im Glauben, einen passenden Tag erwischt zu haben gehen wir mit ablaufendem Wasser raus aus dem kuscheligen Hafen Kilrush, durch die Schleuse und rauschen tatsächlich mit 7 – 8 kn Richtung Mündung. Die angesagten 15 kn Wind von vorn entpuppen sich als 20 und mehr, was bedeutet Strom gegen Wind und Welle, was wiederum bedeutet, dass das Wasser chaotisch wird, die Wellen kurz und steil und entsprechend aufgebäumt, was wiederum bedeutet, dass die Skipperin zum ersten Mal einen Totalausfall erlebt. Mein unpassender Hinweis: bitte nicht auf die Leinen, wird mit einem gepressten “mir egal“ quittiert, worauf hin sie sich in der Lotsenkoje in die sichere Horizontale begibt. FreiKerl boxt sich 3 h durch das nasse Tohuwabohu, haut sich von einer Seite auf die andere, versenkt seine Nase in den kurzen Stoppwellen, und donnert mit Getöse seinen platten Boden auf das Wasser, woraufhin allmählich eine gewisse Unaufgeräumtheit im Salon entsteht. Die Skipperin will nie nie mehr segeln. Meine Frage nach 2 h Cool-Tun draußen, ob sie heute nochmal rauskommt, wird sehr kurz, aber bestimmt abschlägig beschieden. Ich fahre wegen des besseren Winkels zu den Wellen etwas weiter raus, der Strom nimmt ab und die Wellen werden länger und die Situation normalisiert sich, so gut wie es bei 25 kn von schräg vorn so sein kann. Allmählich kehrt auch wieder Leben in Ankes Körper und Gesicht. Wir laufen in Fenit ein. Weit sind wir nicht gekommen, es fühlt sich nur so an. Strom, Wasser, Duschen, Waschmaschine, Altölabgabestelle, alles da, und natürlich erste Gespräche, bevor man die Segeljacke ausgezogen hat. Man fühlt sich nicht nur willkommen, man ist es.

Es bleibt bei zunehmendem West.

Nun sind wir eingeweht. Auf dem Nordatlantik drängeln sich die Hurrikane, in deren Folge die vorherrschenden Tiefs die irische Westküste mit strammem Wind aus West unter Dauerbeschuss halten. Seit Tagen geht der Windmesser nicht unter 20 kn, obwohl wir in Fenit Harbor gen Westen durch eine kleine Gebirgskette gut geschützt sind. Für heute Nacht und morgen sind stehende 35kn, also eine ausgewachsene Windstärke 8, Böen bis 50 kn angekündigt. Aber, wir pflegen die seemännische Gelassenheit und sind entspannt, wir sind gut versorgt. Wir sitzen in der warmen Kajüte, genießen den Müßiggang und das Faulsein. Ganz weit im Hinterkopf spuken die Gedanken darum, dass die Zeit uns weglaufen könnte um weiter nach Süden zu kommen. Schließlich wollen wir möglichst vor den Herbststürmen noch über die Biskaya. Aber so ist notgedrungen erst einmal Zeit für viele schöne Dinge: lesen und lesen und lesen, Kuchen backen, Strandspaziergänge, und: Musik hören. Ich, bekennender Musikliebhaber und „Vielhörer“, habe heute erstmalig seit Reisebeginn am 01. Mai die Musikanlage an Bord in Betrieb genommen. So unglaublich es klingt, das Fassungsvermögen unser Sinne war bisher vollkommen ausgeschöpft, es war kein Platz mehr für Musik, kein Bedürfnis danach vorhanden, (zumal wir die Musik unserer mitgeführten Konserven natürlich kennen). Und ich habe Muße, mich wieder an einen blog-Beitrag zu setzen und mich auf unseren Irlandaufenthalt einzulassen.

Den Wind zickig zu nennen, hieße, ihm zu schmeicheln. Seit gestern Abend klappte der Windzeiger nicht mehr unter die 25, heute schnippt er mehrfach kurz bis 48. Windstärke 10, hinterm Berg in einer Bucht. Donnerwetter. Außerhalb der Bucht sollen die Wellen heute Nacht auf über 8 m gehen. Es heult und jault ohne Unterlass in den Takelagen. Die an Masten schlagenden Leinen veranstalten mit den flatternden Persenningen und knatternden Kuchenbuden seit gestern kakophonische Konzerte und man versteht kaum sein eigenes Wort. Schaut man über die schwankenden Reihen der im Hafen liegenden Boote meint man auf hoher See zu sein. Anke darf mangels Masse nur angeleint und mit Weste auf den Steg. Erstmalig kommt auch im Hafen die rutschfeste Matte für den Salontisch zum Einsatz. Waagerechte Regenfächer stehen auf dem schäumenden Wasser, dass selbst im Hafen mehr weiß als graublau erscheint. So beeindruckend diese durchschnittlich 70 km/h (8 bft) schon sind, so unvorstellbar werden die 250 km/h von Hurrikan Irma, der gerade Kuba heimgesucht hat und sich nun die Küste Floridas vornimmt. Bei aller Neugier, uns genügt der Blick von der Mole auf die brodelnde See.

Das vor uns liegende Lifeboat der irischen Lebensrettungsgesellschaft – ebenso ehrenamtlich wie in Deutschland und vielen anderen Teilen der Welt – hat mit 6 Männern und 2 Frauen Besatzung den heutigen Sonntagvormittag für ein Training draußen unter erschwerten Bedingungen genutzt. Hochachtung! Und Dank!

Vor 2 Wochen sind wir nach einwöchigem Törn in Kilrush an Irlands Westküste gelandet. Diese eine Woche der Überfahrt fühlt sich noch heute wie ein Loch im Kalender an. Die 167 Stunden auf See sind übergangslos ineinander verflossen. Rückblickend könnte es auch einen Tag oder einen Monat gedauert haben. Ein paar Tage brauchten wir schon, um über diese Art jetleg hinwegzukommen. Diese sehr intensiven Erlebnisphasen entlassen uns immer nur allmählich aus ihrer emotionalen Umklammerung. Allein der Island-Nachhall ist noch immer gewaltig und nun addierten sich zu diesen noch sehr lebendigen Eindrücken die Aufregungen der „zeitlosen“ Passage nach Irland.

Es war also erstmal „Erdung“ angesagt, die wir nutzten unsere Gedanken und Erinnerungen aufzuräumen (und in den Blog zu füttern) und uns frei zu machen für die Iren, die uns so herzlich empfangen haben, und ihre schöne grüne Insel.

Außerordentlich auffällig ist die Offenheit und Höflichkeit der Iren. Es grüßen durchweg alle, selbst die coolsten Teenager, die älteren liefern meist noch Kommentare zum aktuellen Wetter, die Nachfragen zum Wohlbefinden gehören ohnehin zur Begrüßungsformel. Somit ist man nach einem Gruß meist schon im Gespräch. Wir haben in den 2 Irlandwochen mehr Kontakt zu den Einheimischen gehabt als in 2 Monaten in Island, aber der Ise grüßt auch nicht gern und ist nicht besonders neugierig, insofern fehlte dort schon immer ein möglicher Einstieg. Am 2. Abend in Kilrush klopft es ans Boot und Seglerkollege Aidan fragt, ob wir nicht mal rüberkommen wollen, etwas erzählen. Klar haben wir dann mehrmals Zeit gefunden, uns auszutauschen. Und: selbstverständlich bestelle ich Euch den Revierführer für diese Region, der ist morgen da; und wenn kein Bus fahren sollte bring ich euch; und wenn ihr was braucht, sagt Bescheid, auch wenn ihr schon unterwegs seid, usw. (Teil 2 folgt)

Um den nördlichen Teil der Westküste und des „Wild Atlantic Way“, an dem wir aus Mangel an geeigneten Häfen vorbeigesegelt waren, zu besichtigen, mieteten wir uns für 3 Tage wieder einen Wagen. (Für die insgesamt knapp 80 € hätten wir in Island nur einen Nachmittagsausflug machen können.) In diesem Land fahren tatsächlich ausnahmslos alle auf der falschen Fahrbahnseite! Aber schneller als erwartet pegelte sich mein Adrenalinspiegel wieder ein. (Die Geisterfahrer-Zusatzversicherung hätte 95 € gekostet.)

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Verständlicher Weise haben es die Klippen und Strände hier schwer sich gegen die Isländische Übermacht zu behaupten. Aber die unendlichen grünen Hügel, dschungelartige Wälder, Alleen wie Tunnel, Gärten mit überbordender Bepflanzung, als wollte sie die Einfriedungen sprengen. Die Gartenliebe der Iren ist wirklich bemerkenswert. Es blüht überall wie im Hochsommer. Das Klima ist vom Golfstrom geprägt und dementsprechend mild, und der tägliche Sprühregen lässt die Flora samt Palmen und Agaven üppig gedeihen. Den Rindern und Schafen und Pferden scheint das auch zu gefallen, die stehen alle gut im Futter. Das erste Ribeyesteak seit 4 Monaten schmeckte großartig, als hätte das Rind, das dafür gestorben ist, ein glückliches Leben gehabt. Allerdings scheint es den Fischen, die letztlich auf den Tellern landen, zu Lebzeiten ähnlich gut ergangen zu sein. So langsam wie wir auch segeln kullern wir mit dem Auto die Küste entlang. Loophead Lighthouse, Cliffs of Moher, Spanish Point, Doonbeg, Doolin Cave, Poulnabrone Dolmen, Corcomroe Abbey, nach Galway, der zweitgrößten und, dem Vernehmen nach, lebendigsten Stadt Irlands. Übernachtungen sind unproblematisch in B&B. Galway scheint nur aus urigen Pubs zu bestehen. Es geht laut zu, überall quillt Musik aus den offenen Türen. Leider gießt es dort ununterbrochen, aber die Wege von Pub zu Pub sind ja kurz. Auf dem Rückweg, diesmal über Land, reicht die Zeit nur für Stopps im Park von Coole mit seinem wundervollen walled garden und Bunratty Castle, denn Castle muss sein.

Nach unserer Rückkehr zum Boot finden wir ein kleines Päckchen mit selbstgebackenem Brot und ein Briefchen von Astrid, einer in Irland lebenden Deutschen, deren Gefährte, ein Portugiese, sein Boot an unserem Steg liegen hat, und sie sah unsere Flagge und wollte ein paar Worte in Muttersprache wechseln. Mein Bedankemichanruf mündete in ein ausgiebiges Gespräch über das Leben an und für sich und in eine ausführliche Email ihres Partners Rogerio, einem ausgewiesenen Kenner der portugiesischen Gewässer, mit Empfehlungen zu Marinas und Ankerplätzen, einschließlich links zu Autovermietungen. Unglaublich. Wenn man hier lebt, „verirt“ man (sich) also zwangsläufig. Ihr freundlichen Iren, geht in die vielen an Entgegenkommen und Aufmerksamkeit notleidenden Länder dieser Welt, und färbt einfach nur ab… (So viel zu Teil 2.)

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Galerie Kilrush:

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Galerie Landausflug:

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Galerie Fenit:

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