Auf See – Zurück zum alten Kontinent

Auf See – Zurück zum alten Kontinent

Am Dienstag dem 12. Juni mittags halb eins brechen wir auf. Dirk und Ulrike vergewissern sich zwei Stunden später telefonisch, ob wir nun endlich weg sind. Weg sind wir noch nicht, aber los. Kein Hauch kräuselt das atlantikblaue Wasser. Der Himmel über dem Meer fährt reine pralle Bläue auf. Nur über den Inseln hat Petrus wie so oft die flockigen Wolkenknäuele sehr dekorativ und zur Freude der Fotografin aufgehängt. Wir machen uns nackig, blicken wehmütig auf Sao Jorge zurück, nach Graciosa hinüber, und auch der Pico auf Pico bohrt sich wie zum Gruß durch seine Wolkenkappe. Terceira und Fajal markieren sich in der Ferne eher schemenhaft. Aber das Quintett der mittleren Azoreninselgruppe zeigt sich zum Abschied letztlich doch komplett. Wir tuckern nach NNO und genießen den ruhigen Start unseres längsten Seestückes. Delfine bringen uns ein Abschiedstänzchen, ein paar Schildkröten paddeln neben uns und 3 Wale, die wir leider nicht identifizieren können, schnaufen und prusten ein Weilchen um uns herum. Mit der Sonne versinkt dann auch der Pico hinterm Horizont, und wir sind wirklich weg. Adé Azoren.

Zuverlässig erhebt sich der angekündigte Südwest um Mitternacht und erweckt unser Boot zum Segelboot. Wache in lauer Nacht. Um uns nur das Plätschern der sich am Bootsrumpf reibenden Wellen und das Rauschen des Windes im Rigg, vielleicht noch das Toben der dem Nachtmahl nachjagenden Delfine. Sonst nur verschmolzenes schimmerndes Schwarz, über uns sternenübersprenkelt in dimensionslosem Raum, um uns bis ans Ende der Welt, mit Schaumkrönchen getupft. Unweigerlich saugen einen die Gedanken in den Orbit. Schwerelos. Psychedelische Momente. „Drugs by natur“ sozusagen. Nur über die Sinne aufzunehmen. Leider ohne Konservierungsstoffe. Gibt’s in keinem Bioladen der Welt. Mit ein wenig Glück kann man es selbst machen. Es bleibt jedoch immer unergründlich, unbeschreiblich, und unvergesslich.

Bis auf eine Windpause von 14 h segeln wir unseren geplanten Kurs NNO so eine Woche lang. Wind mit 3 bis 4 bft sehr platt von hinten, dementsprechend rollen die Wellen unter uns hindurch. FreiKerl kann sich nicht entscheiden, er geigt und wirft sich eine Woche lang ständig von einer Seite auf die andere. Ding – dong, ding – dong. Aber man konnte herrlich in der Bugkabin­e schlafen, meist gewiegt wie ein Baby, manchmal auch geschüttelt und wachgerüttelt.

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Ein gewaltiger Finnwalbulle kreuzt unseren Kurs und bringt kurze Abwechslung, außerdem drei Segler (überholend!), die wir nur auf dem Plotter zu sehen bekommen, und zwei Frachter. Mehr passiert nicht an aktiv Aufregendem um uns herum. Oder doch? Wir sind auf Rauchentzugstrip, d.h., wir sind ohne Vorräte gestartet. Der nächste Zigarettenautomat ist mindestens eine Woche entfernt. Und nach 3 Tagen war alles alle. War der allerletzte und pulvertrockenste Krümel Tabak (sah manchmal schon wie Rooibos aus …) aus Schapps gekratzt und Tüten geschüttelt und mit spitzen Fingern zu etwas Kippenähnlichem verbastelt. Danach: der Truthahn. Kalter Entzug! Nein: wir haben uns nicht angeschnauzt, nicht dem unschuldigen FreiKerl ins blecherne Heck getreten, kein „mayday“ gefunkt und auch die Kugelfische, die die gewitzten Delfine so gern durchziehen, verschont. Wochentörns statt Nikotinpflaster und Rauchstop-Akkupunktur. Klingt doch nach einer Geschäftsidee, oder?

Ach ja, außerdem brach unser Kutterstag, ein 10 mm Drahtseil von etwa 18 m Länge, das immer ungenutzt weggebunden wurde, unmittelbar unter dem „Walzterminal“ (verständlicher: der Beschlag mit dem das Drahtseil am oberen Ende mit dem Mast verbunden wird) und schlug des Nachts lang übers Deck. Der Schreck war groß, der Schaden klein. Das jahrelange Hin- und Hergependel ohne wahre Aufgabe muss es zermürbt haben. Und – obwohl täglich im Einsatz – der Laderegler von Windgenerator und Solarpaneelen quittierte ebenfalls den Dienst, was uns zum Stromsparen und somit letztlich ungekühlten Getränken verdammte.

Wie gesagt, bis auf Kleinigkeiten war eine Woche lang alles bestens und wie geplant und erhofft. Nachdem wir nun 8 Tage Richtung Irland gesegelt waren, um nicht in windarme Hochdruckausläufer zu geraten, wurde es Zeit, auf Höhe Südbretagne den Kurs auf genau Ost zu ändern. Vor uns noch 500 sm, gewissermaßen waagerecht durch die Biskaya. Aber was treibt das himmlische Kind? Es dreht auch auf Ost, weht uns genau auf die Nase. Das Verhältnis Segler – Wind wird auf ewig eine Hassliebe bleiben. Ich erlaube mir an dieser Stelle aus „Auf See“ von Guy de Maupassant zu zitieren:

„Was ist der Wind für Seeleute doch für eine Gestalt! Man spricht von ihm wie von einem Menschen, einem allmächtigen Herrscher, der mal schrecklich, mal wohlwollend ist. Über ihn wird den ganzen Tag am meisten geredet, an ihn wird tag- und nächtelang gedacht … diesen Unsichtbaren, diesen Schrecklichen, diesen Unbeständigen, diesen Heimtückischen, diesen Verräter, diesen Grausamen. Wir lieben ihn, und wir fürchten ihn, wir kennen seine Tücken und seine Wutausbrüche, die vorauszusehen die Zeichen von Himmel und Meer uns langsam lehren. Er zwingt uns, jede Minute, jede Sekunde an ihn zu denken, denn der Kampf zwischen ihm und uns hat nie ein Ende. Unser ganzes Wesen ist für diesen Kampf gewappnet: das Auge, das unmerkliche Erscheinungen auszumachen sucht, die Haut, die seine Liebkosungen und seinen Hieb empfängt, der Geist, der seine Laune erkennt, seine Überraschungen voraussieht, der beurteilt, ob er sanft ist oder launisch. … denn er ist der Herr des Meeres, der, dem man ausweichen, den man nutzen oder vor dem man fliehen kann, den man jedoch niemals bändigt. Und wie bei Gläubigen herrscht in der Seele des Seemanns die Vorstellung eines jähzornigen und mächtigen Gottes, die geheimnisvolle, andächtige, grenzenlose Furcht vor dem Wind und der Respekt vor seiner Macht.“

Bekanntermaßen ist Wissen auch Macht. Ebenso bekannt ist, dass „Wissen“ und „Wetter“ sich gewissermaßen ausschließen. Nun setzte der Törnabschnitt „unplanmäßig, und ohne Wissen“ ein. Letzteres versuchten wir auszugleichen, in dem wir 3 x Frachtschiffe anfunkten und um aktuelle Wettervorhersagen baten. Der erste ging schon beim vierten Anruf ran, versprach sich zu erkundigen und zurückzurufen. Nix passierte, Funkstille, trotz wiederholter Versuche unsererseits. Der zweite sagte er habe und brauche keinen aktuellen Wetterbericht. Hm, den muss er wohl in Zeiten von „just in time“ zwingend ignorieren. Der dritte Witzbold wollte nachsehen, rief dann auch `ne Viertelstunde später zurück und gab für die nächsten 6 Stunden durch, das alles bleibt wie es ist. Also 5 – 6 bft aus ONO. Wir setzten nach: bitte für die nächsten Tage. Er: morgen bleibt alles so wie heute. So war es auch, und so blieb es bis zu unserer Ankunft und noch Tage darüber hinaus. FreiKerl ist ein Schiff für die raumen Winde, kein Kreuzer. Und wir haben ihm vier Tage lang einen „Kreuzgang“ abringen müssen, verbunden mit viel Stampfen und Bocken, da die Ostwindwellen nun gegen die alte West-Dauerdünung liefen und sich zu kurzen steilen Wellen verbündeten. Das markerschütternde Aufschlagen hinterm Wellenkamm, wenn der platte Schiffsboden bergab auf `s Wasser donnert, lässt uns mit FreiKerl mitleiden, und wir sind auf `s Neue verwundert, dass offenbar alle Elektrokontakte aufeinander und alle mechanischen Verbindungen aneinander bleiben. Wie noch nie zuvor auf unserer Reise gingen die Brecher lang übers Schiff und schlugen regelmäßig im Cockpit ein. Alles wurde dick eingesalzen. Ölzeug war angesagt. Steuerbordluke der Bugkabine, Badluke und auch der Rahmen vom Niedergangsluk im Salon erwiesen sich unter Wasserdauerbeschuss als nicht vollständig dicht. Aufenthalt und „Wiegenzeit“ in der Bugkabine waren nun leider unmöglich. Aber der Salon und der Gang haben auch kuschelige Ecken.

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Die Kreuzerei brachte mit sich, dass wir mehrfach die Nord-Süd-Schifffahrtspiste queren mussten. Zuweilen tummelten sich mehr als zwanzig Schiffe links und rechts von uns auf dem Bildschirm. Das sorgte für kurzweilige Nachtwachen und kurbelt auch immer wieder den Adrenalinhaushalt an. Unseren Freunden, den vielen emsigen Fischern und den wild jagenden Delfinherden nach zu urteilen, fühlen sich am Kontinentalschelf, wo der Meeresboden plötzlich sehr steil von 4000 m auf 200 m ansteigt, Fischschwärme besonders wohl oder sicher, oder beides. Welch ein Irrtum.

Am letzten Tag gesellte sich eine hübsche aber flugfaule Zuchttaube zu uns. Nach gutem Seemannsbrauch bewirteten wir sie mit Wasser und Couscous und zerbröselten Sonnenblumenkernen, tauschten Neuigkeiten übers Woher und Wohin aus und wiesen ihr ein Schlafeckchen im Cockpit zu. Zum Dank, oder lags am Couscous, war am nächsten Morgen die Steuerbordbank flächendeckend zugeschissen. Täubchen, auf geht`s: gassi fliegen! Haben wir 5 x geübt. Die oberfaule Trittbrettfahrerin drehte jedes Mal `ne Runde ums Boot um sich dann an einem von uns schlecht erreichbaren Plätzchen weiterhin kutschieren zu lassen. In Anschlagnähe von „Belle Iles“ machte sich die Schlawinerin dann klammheimlich und grußlos auf die Schwingen.

Am letzten Tag der nunmehr zwölf Tage, 80 sm vor der Küste, schwächelt der Ost. Doch wir waren mit den Namensgebern unserer mechanischen und elektrischen Selbststeueranlagen Peter und Helga und einer ungarischen und einer sächsischen Salami in ihrem Gepäck verabredet. Zwei Tage hatten die beiden ihren Bretagneurlaub bereits gestreckt um uns noch anzutreffen und ihre kostbare Fracht loszuwerden. Kein Wind hatte unseren Start schon um zwei Tage verschoben und mehr als einen Tag hat uns der zu kreuzende Ostwind gekostet. Also, Motor an und Segel runter, Hebel auf den Tisch. Drei sm vor der Hafeneinfahrt Quiberon ziehen wir die Genua dann nochmals raus, genießen bei drei kn Fahrt und schönstem Samstagnachmittagwetter inmitten unzähliger bretonischer Boote (es heißt, jeder zweite Bretone besäße ein Boot) die letzte der 295 Stunden unserer Überfahrt. Es ist immer wieder eigentümlich und irritierend, wenn und wie man aus seiner zeitlosen, wenig weltbewegenden Blase zurück in die Welt, die sich fast zwei Wochen munter weitergedreht und trotzdem in nichts verändert hat, geworfen wird.

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Der Marinero eskortiert den „FreiKerl im Salzmantel“ zu seinem Plätzchen, Helga und Peter nehmen die Leinen. Wir sind sehr zufrieden. Zufrieden mit der Überfahrt, der Reise, mit uns, dem Leben an sich und im Besonderen. Daran kann auch ein sehr lauwarmer „Gin-Tonic-Anleger“ nichts ändern.

Kontinentaleuropa hat uns nach 150 Tagen wieder. Zuerst: Bonjour Bretagne.

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