Normannisches Durcheinander – Kanalinseln und Cherbourg

Normannisches Durcheinander – Kanalinseln und Cherbourg

Auf ins Steuerparadies „Bailiwick of Guernsey“, auch wenn wir keine Steuern zum Verstecken, sondern nur ein altes Schiff ZU Steuern haben. Und da diese putzigen Eilande auf der Heimroute liegen, werden wir dreien von ihnen en passant einen Besuch abstatten. Wir freuen uns „FreiKerl“ 5 – 6 bft servieren zu können, die uns von der Ile de Brehat, natürlich auch mit dem Strom, mit einem Schnitt von knapp 6,5 kn die 45 sm nach St. Peter Port, der „Hauptstadt“ Guernseys bringen. Erwähnter „König von Auxcrinier“, ein enger Verwandter von Klabautermann, Herrscher über die wilden Wasser im Kanal, muss uns auf dem Radar gehabt haben. Der launische Regent ist wohl zuweilen zu Spitzbübereien aufgelegt. Jedenfalls stibitzte er bei Eintritt in sein Reich einen unserer großen blauen Fender, unwiederbringlich. Okay, wir haben das Zeichen verstanden. Dank umfangreicher Navigationsunterlagen sind wir gut präpariert.  Aufmerksam steuern wir die ständig wechselnden Stromversätze aus.

Der Hafenmeister von Peter Port weist uns einen Platz im tidenunabhängigen Vorhafen zu, befördert im Vorbeifahren mit lässigem Unterhandwurf die Tüte mit den Einklarierungsunterlagen nebst Inselplan und nützlichen Hinweisen für den „Bailiwick-Touristen“ ins Cockpit. Mir erscheint die Lücke recht knapp, doch der Hafenmeister war sich sicher, dass wir reinpassen. Recht hatte er, vorn ein halber Meter und achtern ein Meter Luft bis zum „Peter“ sind tatsächlich ausreichend für ein geschmeidiges und manövrierfreudiges Fahrzeug wie unseres.

In Guernsey: so dumm kann Geschichte laufen. Normannnenherzog Wilhelm der Eroberer wird im Jahre 1066 nach erfolgreicher Eroberung auch König von England und bringt die Vogteien Jersey und Guernsey nebst der Handvoll Mini-Inseln gewissermaßen im Handgepäck mit und macht sie somit zu britischem Kronbesitz, was sie heute – königlich behütet – noch immer sind. Infolgedessen ist auch die amtierende Queen „Herzogin der Normandie“ und Staatsoberhaupt der Kanalinseln. Noch immer ist auch französisch Amtssprache, alles ist 2sprachig ausgeschildert, seit 1000 Jahren hält sich hier ein eigener französischer Dialekt, es gibt eigene Briefmarken und Telefonkarten, eigene Banknoten und Münzen für die 65.000 Einwohner (die man in Großbritannien nicht loswird), und, freilich hat Jersey als eigene Vogtei ebenfalls eine eigene Währung  (mit der man in GB ebenfalls nix bezahlen kann). Eine britisch – schräge Geschichte, und es muss die Franzosen doch täglich grämen, dass von den Zinnen der „Vogteien“ in Sichtweite vor ihrer Haustür nicht die Tricolore zu ihnen hinüberwinkt. Aber immerhin haben sie sich die Normandie zurückerobert.

Neugier auf die französisch-englische Kulturmischung treibt uns nach der Einklarierung zu kurzer Stadterkundung. Wir unternehmen per Linien-Bus eine Inselrundfahrt, mit x Stopps, wandern immer wieder ein Stück entlang der rauen Nordküste, besuchen zu Fuß die nur bei Ebbe zugängige hübsche Ile Lihou im Westen, können uns im Fort Grey – zur Abschreckung sozusagen – den Besuch des Schiffswrackmuseums nicht verkneifen, wandeln im zum Skulpturenpark gestalteten herrschaftlichen Garten des altblaublütigen Anwesens Sausmarez.

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Die gezeitenbedingte Verwandlung der Küstenlandschaft beeindruckt und fasziniert immer wieder. Die gewaltigen Felsenküsten, deren „Fundamente“ die Ebbe täglich 2 x freilegt, als drohte sie den Seefahrern mit dem vorübergehenden Herzeigen all ihrer Folterinstrumente. Immer klingelt es im Hinterkopf: halt dich fern von diesen Küsten. Tidenhub über 10 m. Schnell sind die ungeheuren Wassermassen, und entsprechend ausgedehnt sind die periodisch freigelegten felsigen Gründe. Zu diesem Thema lesen: „Die Arbeiter des Meeres“ von Victor Hugo. Großartig. Apropos Hugo: die wegen seines extravakanten Interieurs interessante Hugo-Villa „Hauteville“, in dem er 15 Jahre seines Exils auf Guernsey lebte und arbeitete, war wegen Renovierung bedauerlicher Weise nicht zu besichtigen. Allerdings gab es im städtischen Kunstmuseum eine sehr sehenswerte und gut gestaltete Schau mit Grafiken von Hugo. Sehr überraschend. Der Mann konnte nicht nur schreiben.

Mit unserem Zug gen Norden und Osten stellte sich auch spürbar zunehmend Endsommerwetter ein. Wie schon in der Nordbretagne regnet es auch in normannischen Breiten öfter, sogar sonntags, was zumindest der Bearbeitung des Nordatlantik-Blogs zu Gute kommt. Aber nach 4 Tagen ist es genug. Unsere Päckchennachbarn trollen sich ebenfalls und so ziehen wir am Montagvormittag um den Südzipfel der kleinen, nur wenige Meilen östlich von Guernsey gelegenen Insel Sark, in eine der wenigen Ankerbuchten, mit schmalem Sandstrand vor und zwischen steiler Klippenküste. Perfekt ist der Platz nicht, es ist unruhig. Fallwinde drücken aufs Wasser und der Schwell findet offenbar immer einen Weg auf die Leeseite. Landgang und ein Besuch im Garten der „Seigneurie“ müssen sein. Übrigens, das Feudalwesen wurde hier offiziell erst vor 10 Jahren abgeschafft, aber das bewährte Lehnswesen wird weiter praktiziert wie vor 500 Jahren. Der „Seigneur“ ist Chef über die überschaubaren, autofreien 5,5 Insel-km² und die 500 ansässigen Sarkees, residiert auf einem netten Anwesen mit Schlösschen, Taubenturm, Kapelle und Windmühle, und für 5 Guernsey-Pfund kann man sich den ganzen wundervollen Garten nebst Hecken-Labyrinth anschauen und mal übers ehrwürdige Grundstück schlendern. Es fühlt sich nach Zeitreise ins vorletzte Jahrhundert an. Aus dem geplanten Abendessen an Land wird nichts, da alle Restaurationen mit Ablegen der letzten Tagestouristenfähre um 19:00 die Läden schließen. Wir trösten uns mit den herrlichen Fernblicken, die sich von den sandigen Wanderpfaden auf der Kante der Steilküsten bieten. Auch den FreiKerl unten auf den Wellen schaukeln zu sehen ist ein erhebendes Bild. Es dämmert bereits als wir das Schlauchboot ins Wasser schieben. Schwell und somit Brandung haben erheblich zugenommen. Es ist unschwer absehbar, dass wir nicht trocken ins Dinghi kommen. Wir werden auch Wasser übernehmen beim Einsetzen. Freimütig mach wir uns nackig und freuen uns über die Erfindung wasserdichter Rucksäcke und Taschen. Das schwungvolle Entern des springenden Dinghis fordert Opfer. Ich verliere meine geliebten Zehentrenner, dann schnappt unter mir die Sitzbank aus der Halterung. Gottlob krachen wir auf Ankes Schuhe und zertrümmern nur das Ösfass. Nachdem das Dinghi wieder an Deck und ausgeschöpft ist, die Sachen zum Trocknen aufgehängt sind beobachten wir im Mondlicht 3 Nachzügler, die mehrfach ihre Versuche unversehrt ins Schlauchboot zu kommen abbrechen und fast 2 Stunden brauchen um auf ihr Boot zurückzukehren.

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Nach einer ausgiebig durchschaukelten Nacht brechen wir auf nach Alderney, der nördlichsten und zur Vogtei Guernsey gehörenden Kanalinsel. Dazu liefern wir uns der zweifelhaften Obhut des Alderney-Race aus, dem berühmt – berüchtigten Kanalabschnitt zwischen Insel und der Festlands-Westküste der La Hague-Halbinsel im Golf von Saint-Malo. Unsere übermütigen Freunde tummeln sich hier besonders ausgelassen. Eddies, overfalls und rips toben hier im Veitstanz umeinander und sorgen für unvorhersehbare Strömungen und Strudel, treiben auch bei milden Winden Boote und Schiffe zu absurden Kursen und lassen die Wasseroberfläche weithin wild und weiß schäumend leuchten. Bei Springflut bringt es der Gezeitenstrom auf 12 kn. Vermutlich stapeln sich die Wracks hier schon seit Römerzeiten. Mit mehr als 11 kn rasen wir übers wirre Kopfsteinpflaster und hängen nach nur 3 Stunden im Hafen von Saint Anne, dem einzigen Ort der 2000-Seelen-Insel, an einer der zahlreichen Gästebojen. Eine nachmittägliche Inselwanderung entlang der Küste, unweigerlich von Festung zu Festung, verschaffte uns einen schnellen und ausreichenden Überblick übers Eiland. Offenbar lebte die britische Krone – verständlicher Weise – jahrhundertelang in ständiger Furcht vor französischen Überfällen und bepflasterte die Inseln, vor allem im 19. Jhd, mit unzähligen Wachtürmen und Verteidigungsanlagen, die dann 1940 von der deutschen Wehrmacht dankbar übernommen und liebevoll vervollkommnet und „betonisiert“ wurden. Diese unübersehbaren, bedrohlichen Hinterlassenschaften „made in Germany“, entlang der gesamten Normandie- und Bretagneküsten und auf den Kanalinseln, verschlagen mir immer wieder meine deutsche Sprache, und mich ergreift zum wiederholten Male Dankbarkeit und ein klein wenig Verwunderung, ausnahmslos überall freundlich willkommen geheißen worden zu sein. Vielleicht, oder hoffentlich, heilt Zeit ja doch alle Wunden.

Wir krönen den Inselbesuch abschließend mit einem vorzüglichen Hummer/Krabben-Dinner.

Das morgendliche Stillwasser bestimmt unseren frühen Aufbruch. Sicheres Vorankommen wird hier vor allem durch richtiges „timing“ bestimmt. Wir segeln ostwärts und queren notgedrungen die Alderney-Straße. Die Strömung versetzte uns derartig, dass wir eigentlich quer, in den starken Südstrom ausgerichtet, nach Osten treiben. Statt Wind platt von hinten segelten wir fast am Wind. Aufregend, unglaublich. Aber auch hier regiert das große Chaos nur kurze Zeit. Dann biegt auch der Strom nach Osten ab und treibt uns munter vor sich her. Unseren ursprünglichen Plan vor Omonville am Anker oder einer Mooringtonne zu übernachten müssen wir wegen Vollbelegung leider aufgeben und segeln weiter nach Cherbourg. Stundenlang wird die Anfahrt vom “Anwachsen“ der gigantischen (fast 4 km langen), quer vor der Hafenzufahrt liegenden Verteidigungsbarre geprägt, der die Deutschen zu Kriegsbeginn auf den seinerzeit neuesten Stand geholfen haben. Vom alten Cherbourg und somit historischen Sehenswürdigkeiten ist nichts Nennenswertes erhalten geblieben. Den „unkulturellen“ Höhepunkt unseres Cherbourg-Aufenthaltes bildet ein wahrlich quälender Rundgang durch die endlosen Reihen eines riesigen Supermarktes. Hierbei einen kühlen Kopf und den Blick unablässig auf dem locker beschriebenen Einkaufszettel zu behalten erfordert ein Übermaß an Selbstdisziplin. Davon haben wir einfach nicht genug. Die dem Einkauf wohlweislich vorausgegangene Einkehr zum Zwecke der die Kauflust und den Appetit mindernden Sättigung war glatt rausgeworfenes Geld. Französische Supermärkte sollten „typenschulungspflichtig“ sein. Einziger Trost: alles ist für einen guten Zweck, also für unser leibliches Wohl. Auch wenn dieses allmählich sichtbare Spuren hinterlässt.

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Es ergab sich, dass wir hier unsere letzte Nacht auf französischen Boden bzw. Wasser verbrachten. Geplant war eine Übernachtfahrt nach Dieppe. Jedoch waren wir zu schnell und wären bei Dunkelheit angekommen. Außerdem waren wir guter Dinge, beschlossen also weiter zu fahren, nach Bologne-sur-Mer. Und da wir vor Bologne-sur-Mer immer noch guter Dinge waren und der Wind unser Freund, ließen wir „es“ und FreiKerl laufen, eine weitere Nacht. Neues Ziel: Oostende.

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Der Kanalverkehr war erträglich, einzige Aufregung brachte ein Besuch des französischen Zolls. Eine Stunde zuvor wunderten wir uns kurz über die eigentümliche Flugroute eines neugierigen Helikopters über uns. Nun donnerte ein kriegerisches Zollschiff auf uns zu und nahm parallelen Kurs und gleiches Tempo. Weder ein Funkspruch noch ein Zeichen, und wir taten so, als ginge es uns nichts an. Dann tönte das Signalhorn. Im Fernglas konnte Anke einen Uniformierten erkennen, der ein Schild mit aufgemalter 77 in die Luft hielt. Okay, könnte bedeuten, geht gefälligst auf Kanal 77. So war es dann auch, wir wurden ausgiebig über das woher und wohin und warum befragt. Letztlich kündigten die Jungs uns mit der Aufforderung Kurs zu halten – was unser Peter heimlich perfekt tat – einen Bordbesuch an, ließen ein schnelles Schlauchboot zu Wasser und kamen zu 5.! längs und natürlich nur 4 von ihnen an Bord. Die meinten das richtig ernst. Eine halbe Stunde steckten sie ihre Schnüffelnasen in (fast) alle FreiKerl-Ecken. Besonderes Interesse galt unserem Marokko-Aufenthalt. Offenbar sieht FreiKerl von oben wie ein klassischer Dope-Schmuggler aus. (Ich erinnerte mich, dass mir in Portugal und auch in Marokko ständig Leute dieses krümelige Zeug verkaufen wollten. Kann ich mich so sehr in oder an mir irren? Hat mein Imagecheck noch Zeit bis nach der Rückkehr?) Letztlich lief alles sehr freundlich, aber doch bestimmt ab. Nochmals wurden die Einzelheiten zu unserer Marokko-Zeit abgefragt, telefonisch ans Mutterschiff durchgegeben, von wo aus man die Informationen offenbar mit einer Stelle in Rabat abglich. Und? Wir waren sauber. Das Belegprotokoll ziert nun unser Logbuch. Wir versprachen die Zollbrigade in unserem blog positiv zu erwähnen, da sie nichts kaputt gemacht haben. Nach einer Stunde schwangen sich die Truppen von Bord und brausten zurück. Unterdessen hatten wir Bologne-sur-Mer passiert und uns der engsten Stelle des Ärmelkanals genähert. Die Sonne schien, Strom und Wind waren mit uns und jagten uns mit 8 – 9 kn durch die Straße von Dover. Die Pendelfähren Dover – Calais und der übrige Frachtverkehr waren gut zu sehen und weit weniger dicht als erwartet. Insofern war die Passage unproblematisch, und wir verspürten fast ein wenig Enttäuschung. Nun ja, vielleicht hatten wir doch nur einen guten Tag erwischt.

Warum nach Oostende? Einziger Grund diesen Hafen anzulaufen war die gute Gelegenheit, das dortige James-Ensor-Haus zu besuchen. Seit mindestens 30 Jahren kreisen Bilder von Ensors maskenbehangenen Atelierwänden in meinem Kopf.

Es zeichnet sich ab, dass uns trotz mehr Reff als nötig die Nachtansteuerung in Oostende nicht erspart bleibt. Diese Anfahrt durch verwinkeltes, unübersichtliches Fahrwasser auf ein völlig verwirrendes Lichtermeer, dass keine Tiefe, keine Entfernung preisgibt, mit einer nun quer schiebenden Welle ist wirklich anstrengend. Ich bin froh nicht allein zu sein. Wir entdecken keine Lichter, die uns die Hafeneinfahrt anzeigen; navigieren eigentlich nur nach Plotter und sind plötzlich – plopp – drin im Vorhafen. Es ist 4 Uhr morgens. Während wir Kringel fahrend Fender und Leinen vorbereiten erschreckt uns trötend ein offshore-Transporter, dem wir müde und selbstvergessen in die Bahn gefahren sind. Welch ein Empfang. Die Suche nach einer Anlegemöglichkeit entpuppt sich ebenfalls als wenig erquicklich. Abgesehen davon, dass Oostendes verzweigte Hafenbecken des Nächtens besonders abweisend wirken, finden wir nach halbstündiger Irrfahrt noch einen Platz am Anleger für die auf die Schleuseneinfahrt in den inneren Stadthafen Wartenden. Nach zwei fast durchwachten Nächten sind wir rechtschaffen müde und hoffen, der Hafenmeister möge nicht, zumindest nicht vor 10 ans Boot klopfen.

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Galerie Guernsey:

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Galerie Sark:

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Galerie Cherbourg-Oostende:

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