Segeln zum Abgewöhnen Nordseefeeling

Segeln zum Abgewöhnen: Nordseefeeling

Oostende, vormittags am Warteponton. Wir haben Glück. Niemand stört unseren Gerechten-Schlaf. Durch die noch verquollenen Augenwinkel sehen wir, dass am vorn in der Außenmarina ein für uns passender Längsliegeplatz frei geworden ist. Aber, erst in Ruhe das Frühstück beenden und dann, auch in Ruhe, dorthin verholen. Soweit das Vorhaben. Während wir die Leinen vorbereiten schnappt uns ein großer Katamaran diese einzige geeignete Lücke weg. Uns bleibt nur, nun doch in den Innenhafen zu gehen. Dass dort noch genügend Liegeplätze frei sind kann nur daran liegen, dass für die notwendige Schleuserei einschließlich dem Hochklappen zweier Straßenbrücken, die das Stadtzentrum mit dem Bahnhofsvorplatz und Busbahnhof verbinden, ein gutes Stündchen einzuplanen ist. Zudem wird nur bei Tag geschleust.

In der Schleusenkammer lässt uns der Schleusenmeister an Bindfaden mit Büroklammer den Marinaplan mit dem uns zugewiesenen Liegeplatz herunter, und kurz darauf thronen wir an der Flaniermeile, mitten in der Stadt, umgeben von ungewohnt urbaner Geräuschkulisse. Straßenbahnen quietschen um die Kurven, Bahnhofsansagen scheppern rund um die Uhr im Hintergrund. Innerstädtischer Verkehrslärm mischt sich mit Rumpelgeräuschen aus dem benachbarten Industriehafen, in dem unter anderem gigantische Windmühlen auf die Offshore-Transporter verladen werden. Der Geräuschteppich täuscht darüber hinweg, dass in der ehrwürdigen Königin der Nordseebäder nur 70.000 Leute wohnen. Auch hier fielen der strategischen Zerstörung der Hafenanlagen die hübschen Altstadtviertel an der Küste zum Opfer, so dass vom alten Charme des Badeortes außer in den weiter landeinwärts liegenden Vierteln kaum etwas zu entdecken ist. Aber wie gesagt, das Ensor-Haus war der Grund für diesen Belgienstopp. Natürlich wissen wir, dass der Teufel ein Eichhörnchen ist. Trotzdem war die Enttäuschung hinter unserem verkniffenen Grinsen unübersehbar: wegen Renovierung geschlossen. Die Trostausstellung im Kunstmuseum der Stadt bot zumindest eine gute Bilderschau Ensors, einschließlich großformatiger Fotografien aus seinem Atelier und Wohnhaus und erläuternden Texten, sogar in deutscher Sprache.

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Und da Brügge nur ein paar Minuten Vorortzugfahrt entfernt ist, wir ausgeruht und auch ein bissel neugierig sind, stürzen wir uns Touristengetümmel. Auf wundersame Weise haben Kriege und Modernisierungswahn das mittelalterliche Städtchen, dass der Fernhandel schon vor 700 Jahren zu Blüte und Reichtum verholfen hat, verschont. In den engen, kopfsteinpflasternen Altstadtgassen begibt man sich unweigerlich auf eine Reise in die Zeit und Geschichte der Hanse. Chocolatiers und Bierbrauer beherrschen ganze Straßenzüge und Quartiere und wetteifern darum, einen nicht ungeschoren aus der Stadt ziehen zu lassen. Beide sind – im Stadtbild deutlich zu erkennen – sehr erfolgreich.

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Am Abend sind wir, nach einer kulinarischen Pflichtübung an einer der hafennahen Pommesbuden (schließlich haben die Belgier die Fritten erfunden) zurück. Wiederholt können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass die Menge ungesund wirkender Teints und verdrossen oder alkoholstarren Blickes herumsitzender Menschen hier größer ist als anderswo. Nächsten tags genehmigen wir unserem hübschen blauen Nanni-Motor 7 Liter frisches Motoröl und neue Filter, bunkern für die nächsten 3 Tage ein paar Vorräte, schreiben und sortieren am blog herum. Am Abend schleusen wir aus, ziehen an den dicht muschelgespickten Kammerwänden nochmals tiefe Furchen in die Fender und starten Richtung Deutschland – Cuxhaven. Sollte es uns auf der Nordsee zu stressig werden gäbe es genügend holländische Häfen zum Ausruhen. Kaum raus aus dem Hafen fällt uns auf, dass wir die gesamte belgische Küste nur im Dämmer und Dunkeln gesehen haben. Allerdings hat die eingeschränkte Sicht die Tatsache, dass die 67 km Küste durchgehend mit Neubaublöcken zubetoniert ist und wie ein abgewickeltes Band Halle-Neustadt aussieht, nicht überdecken können. Wir hatten schon darüber gelesen, aber die Realität übersteigt zuweilen jegliches Vorstellungsvermögen.

Zugegeben, unsere zeitliche Törnplanung sind wir diesmal zu lässig angegangen. Zwar treibt uns flotter achterlicher Wind voran; die Genua ist ausgebaumt, was für schnelle Manöver immer etwas hinderlich ist. Entsprechend verzögert sind unsere Reaktionen auf die energischen Funkansagen der „Schiffsverkehrskoordinierungszentrale“ vor Antwerpen, wir mögen sofort Kurs auf Nord ändern und gefälligst die Maschine zu Hilfe nehmen, so wir denn eine haben. Den Trubel in der Nordsee haben wir naiv unterschätzt. So passieren wir nach einsetzender Dunkelheit die Ansteuerungen Zeebrügge / Antwerpen und queren auch das Fahrwasser auf Rotterdam in der frühesten Morgendämmerung. Es herrscht reger Autobahnverkehr. Wir fahren Slalom entlang der Verkehrstrennungsgebiete, um gut gefüllte Außenreeden, ausgedehnte Windparks und gammelige offshore-Plattformen, und durch die stark frequentierten Ansteuerungen der großen Häfen. Verständlich Weise vernachlässigen wir hier großzügig die üblichen Vorfahrtsregeln und geben mangels angemessener „Argumente“ rechtzeitig nach. Wahrlich, es ist nicht langweilig. Und nein, es hat keinen Spaß gemacht. An Schlaf war noch nicht zu denken. Aber das kennen wir, so ist es immer in der ersten Nacht auf See. Tagsüber, entlang der holländischen Küste ist alles etwas überschaubarer und weniger rätselhaft, erfordert aber aufgrund der Dichte ebenso vollste Aufmerksamkeit. Die zweite Nacht im küstennahen Fracht- und Fährverkehr unterscheidet sich kaum von der ersten, ermöglicht aber die erste Stunde Schlaf. Der Wind aus Südwest nimmt zu auf 6 bis 7 bft und schiebt die Nordseewellen sehr kurz und knackig auf mehr als 2 m. Im Bunde mit Böen über 40 kn bringen sie den Steuer-Peter an seine Grenzen und mich an die Pinne. Bizarre Wolkengebilde wie aus dem Wetterlehrbuch türmen sich um uns auf und lassen keinen Zweifel an dem was folgt. Ein nimmermüdes Blitz- und Donnerwetter braut sich zusammen und begleitet uns kreisend und mehrfach wiederkehrend über fast 6 Stunden. Wäre es nicht auch ein wenig beunruhigend würde man sich nur an ein überwältigend schaurig schönes Naturschauspiel erinnern. Es schüttet wie aus Eimern, was wiederum unser Ölzeug an seine Grenzen bringt und außer feuchten Hintern die ärgerliche Gewissheit hinterlässt: vieeel zu teuer, für ein Zehntel des Preises kleiden wir uns künftig im Fischereiausrüster ein.

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Segeln zum Abgewöhnen.

Unter Maschine schippern wir nach Mitternacht durch scheinbar endlose Ankerfelder zwischen weihnachtsbaumbeleuchteten Frachtern und Tankern in die Elbmündung. Das Gewitter ist nach Norden abgedreht. Eine kurze Verschnaufpause setzt anschließend ein. Trügerisch verleitete mich das ruhigere Fahrwasser der letzten Stunde zu kleinen Abkürzungen. Doch Cuxhaven Traffic rüffelt uns wach und jagt die völlig übermüdete FreiKerl-Crew per Funk mit der Aufforderung, uns sofort und auf kürzestem Weg auf den grünen Tonnenstrich zu scheren, aus dem Fahrwasser. Zwei Minuten später funkt der heranrauschende Frachter, okay, er ginge nun an unserem Heck vorbei und überhole. Die Frachter kommen nun fast im Minutentakt. So hangeln wir uns mit 2,5 kn Fahrt gegen Fluß- und Tidenstrom im Morgengrauen entlang der Fahrrinne bis zur Marina Cuxhaven. Schräg im Strom liegend schnackeln wir mit erhöhter Drehzahl durch die schmale Einfahrt und suchen uns ein passendes Plätzchen am Ende des Besuchersteges. Die ordentliche Anmeldung verabrede ich mit der beflissenen Hafenmeisterin für den späten Nachmittag. Vollkommen groggy klappen wir nach 62 Stunden mit nur drei Stunden Schlaf in die Kojen.

Ein letzter träger Gedanke drängt sich während des Einschlafens noch kurz aus dem Unterbewusstsein:

Die Zeichen der letzten 3 Tage waren doch eindeutig: Dreht um …

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Galerie Oostende

Galerie Brügge:

Galerie Überfahrt Oostende – Cuxhaven:

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