Final Countdown

Final Countdown

Unser Resozialisierungsprogramm setzt sich verstärkt fort. Die letzten 7 der 496 Reisetage haben es in sich. Von wegen Auspendeln in Kloster, weiche Landung in den sanften Dünen des beschaulichen Hiddenseehakens. Meine Innereien weigern sich, an Zufälle dieser Art zu glauben. Für den Abend kündigt sich die alte, mittlerweile auf 6 Boote angewachsene „Männerschnellsegeltruppe“ in der Marina Vitte an. Mit diesen Herrschaften habe ich vor 15 Jahren meine ersten Gehversuche auf den Ostseeplanken unternommen. Und zu den Konstanten in dieser schnell lebigen Zeit gehört, dass die Jungs nach wie vor sich für eine Woche im Jahr zusammenfinden und die Segel heißen. Freilich sind die Charterboote unterdessen größer, werden die Kabinen kaum noch doppelt belegt, hat der Ehrgeiz etwas nachgelassen, auch die Abende verlaufen ruhiger und das Seemannsgarn wird feiner gesponnen.

Obwohl uns die gänzlich schlaflos durchsegelte Nacht etwas an den Augenlidern hängt, radeln wir zum Empfang der eisernen Herrencrews nach Vitte. Wat mot, dat mot. Ja, das ist auch ein Teil des „Nachhausekommens“. Natürlich ist dieser Abend viel zu kurz um sich auf die neuesten Stände zu bringen, zumal die Herren im Morgengrauen aufbrechen wollen. Aber da der Teufel ein Eichhörnchen und die allbekannten Wettergötter sich bekanntermaßen rund um den Erdball unberechenbar gebärden verkümmern die ambitionierten Pläne der Schnellsegler und es wird nichts aus ihrem Kopenhagentörn. Schon 3 Tage später hat sie der „schlechte“ Wind zurückgetrieben und die sechs kuscheln einträchtig am Klostersteg. So bald findet der Erfahrungsaustausch nun seine überraschende Fortsetzung. Am nächsten Morgen startet die Armada Richtung Lohme, um wenigstens „Rund Rügen“ voran zu treiben.

Wir können unserem bevorzugten Reise-Schneckentempo noch ein wenig treu bleiben, pendeln zwischen Fischbrötchenkutter und „Affenstrand“, radeln nach Neuendorf im Inselsüden, ans Nordende hoch zum Dornbusch und pausieren im Klausner, der noch immer die „Kruso“-Heimat ignoriert, verlieren spürbar unsere Seebeine und auch das Reisefieber. Offenbar ist es Zeit sich endgültig zu fügen und nach Hause zu kommen. Geliebtes Hiddensee adé! Selbst nach dieser Reise ist Dir ein Platz in unserer Top-5-Inselhitliste sicher.

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Anke indes kann den Stolz nicht mehr unterdrücken und so flaggen wir vor dem Ablegen die 14 Gastlandflaggen der besuchten Länder, und das auch noch in der Abfolge unserer Route. Einmal mehr verstoßen wir damit gegen das verstaubte Reglement, dass eine alphabetische Reihenfolge vorschreibt und das hissen drei Tage vor dem Einlaufen in den Heimathafen ohnehin untersagt. Uns ists egal. Gleichwohl nehmen wir die nächste und vorletzte Etappe des Heimkommens und segeln am Donnerstag bei Sonne und feinstem frischen Spätsommerwind in unsere vorletzte Winterheimstadt Stralsund. Beim Anlegemanöver quer zur steifen Brise erbarmen sich freundliche und kräftige Stegnachbarn, nehmen uns die Leinen ab und ersparen uns einen erneuten Anlegeversuch. Am Abend besucht uns Sabine, die gute Seele der „Nehmzow-Werft“ und versorgt uns mit den wichtigsten Neuigkeiten unseres Ostsee-Asyls.

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Erstmalig haben wir das Vergnügen Stralsund mit den Rädern zu verunsichern. Für den Abend bahnt sich wieder Großes an. Wir empfangen die „schnellen Männersegler“, deren Wochenrunde um Rügen zu Ende ist. 28 „Salzbuckel“ gehen bei „Jorgos“ zum Fleischessen und Ouzoschlürfen an Land. All die kleinen Wiedesehensfreuden machen das Ankommen leichter. Aber jetzt wissen wir: der Hauptakt steht noch aus. Mit Atze haben wir die Ankunft vor der Brücke in Wieck für den späteren Samstagnachmittag vereinbart. Das erlaubt uns doch noch auszuschlafen, denn die Brückenöffnung um 12:20 bestimmt den Start in Stralsund. Noch immer sind uns Wind und Wetter hold, als hätten sie ein Versprechen einzulösen. Die Sonne scheint uns auf den Nacken und wir segeln fast bis vor die Ryckmündung, wo wir unseren Hafenmeister David auf seiner roten „Baltic“ treffen und uns erfreut ein ausgiebiges Horn-Duell liefern, gewissermaßen zur Einstimmung des Bord-Blasinstrumentes. Ich gebe es gern zu: wir waren furchtbar aufgeregt. Die ungebremste Vorfreude pulsierte nunmehr in allen Poren, stellte alle Härchen auf und zog unweigerlich die Schieber aus den Tränenkanälen. An der Wiecker Dampferpier lag der „Plattboden-Alfred“ aus dem Greifswalder Museumshafen und an Bord standen unsere liebsten Lieben winkend und trötend und rufend zu unserem Empfang. Das war entschieden zu viel für unsere dünne Seemannshaut. Meine Güte. Krass! Nach einem kleinen Ehrenkringel schmiegten wir FreiKerl an Alfreds gewaltiges Seitenschwert, und, und, und? Jedenfalls war die Shirts bald tränenfeucht, Brillen von innen beschlagen und leichte Ganzkörperbeben waren nicht zu verbergen. Manch Tröpfchen Sekt schwappte über im Geherze und Gestikulieren. Bruder Atzes ausgeprägtes Organisationstalent hatte für alles gesorgt: Lieblingswein, Bratwürste vom Lieblingsfleischer, Lieblings-Sparerips von „Jack und Richie“, zünftige Musik. Und ganz viele Lieblings-Menschen, bei denen wir uns herzlichst bedanken für dieses bewegende und unvergessliche Willkommen. Nein, Ihr habt uns wirklich nicht vergessen. So also geht „Heimat“. Extra großen Dank an Atze! Obwohl beide Schiffe gewiß sehr aufrecht und ruhig lagen, krängten die Mannschaften zunehmend. So viel Lage hat meine Koje noch nie geschoben. Als wahre Windsbraut verbrüderte sich die wackere Skipperin im Morgendämmer mit David, der des nächtens noch als Dritter längs gegangen war, und glitt so ohne unnütze Nachtruhe durch den Sonnenaufgang in den neuen Tag. Beim herrlich üppigen Camping-Frühstück auf dem Alfred-Deck knüpfte die besondere Stimmung nahtlos an den grandiosen Vorabend an. Welch ein Wiedersehensfest. Man traut sich fast nicht daran zudenken womöglich nochmals auf längere Fahrt zu gehen.

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Mittags raffen wir uns zu den letzten Kabellängen auf, passieren schön mittig die alte holländische Holzklappbrücke und FreiKerl bezieht fünf Minuten später eine Heimat-Box am Ladebower Yachtsteg. Kinder, Geschwister, Freunde trollen sich am Nachmittag Richtung Leipzig. Um uns ist es spürbar leer. Das wars. Anke lässt den Tränen freien Lauf. Für die nächsten drei Tage liegen pragmatische Erledigungen vor uns. Ausziehen aus dem vertrauten und geliebten FreiKerl-Appartement und das Kerlchen putzen. Drei Tage trauriger und stumpfsinniger Tätigkeiten. Wir belohnen uns mit Rippchen in Eldena und Fischbrötchen in Greifswald. Am Mittwochnachmittag drängeln wir die letzten Kisten und Beutel unter das Dach des überraschend vollgestopften Transporters. FreiKerl blitzt, soweit ein doch eher martialisch anmutendes Schiff in „Aluminium Natur“ blitzen kann. Wir tätscheln versonnen zum Abschied seinen Bug, drücken einen Kuss auf die raue Ankerflunke und lassen ihn allein. Dass Atze und Ute am darauffolgenden Samstag das brave Schiffchen für zwei Urlaubswochen ausführen werden macht die Trennung etwas leichter und tröstlicher. Vor uns liegen 220 sm und 5 bescheuerte Stunden Autobahnfahrt. Gegen die Geschwindigkeit im Land der „freien Fahrt für freie Bürger“ sperrt sich noch alles in uns. Wortkarg schleichen wir auf der rechten Spur südwärts. Nichts scheint uns real. Und doch, wir freuen uns mit jedem Kilometer zunehmend auf unser festes Zuhause, unser Wintergarten im Grünen, das himmlische Bett, und auf die Badewanne für zwei Personen, und vor allem auf unsere „lieben Leute“.

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Galerie Kloster/Stralsund:

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Galerie Heimkehr nach Greifswald:

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