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Mistral und Mortadella. Sardiniens Nordwesten

Äußerst guter Dinge verlassen wir Alghero, stolz auf die neue Ankerwinsch, die wir selbstverständlich am selben Abend in der netten Bucht im Schutz der Isola Piana vor La Pelosa unter realen Bedingungen testen wollen. Den Weg dorthin versüßen wir uns mit dem erstmaligen Setzen unseres 180qm-Leichtwindsegels, oder auch Gennakers, aka asymmetrischer Spinnaker. Das gute Stück in der Größe unserer ehemaligen Leipziger Landwohnung liegt vermutlich seit 18 Jahren unberührt im Ankerkasten. Da wir dem Tuch im letzten Jahr zwecks einfacher Handhabung für kleine Crews (2!) eine Rolleinrichtung spendiert haben, warten wir seit Monaten gespannt auf den richtigen Moment – passende Windrichtung und -stärke – um die rotweißblaue Blase zu heißen. Und nun ist es so weit: auf der Fahrt zur Isola Asinara passt es. Stolz segeln wir mit dem Holland-Ballon nordwärts und können uns gar nicht satt sehen, wenn auch der zunehmende Wind uns nach zwei Stunden zwingt, das Tuch wieder einzuholen. Es wird ruppig und wir werfen bei mehr als 20 kn Wind den Anker in der engen Passage zwischen Hauptinsel, an der sich der angeblich schönste Strand Sardiniens befindet und der nördlichsten Naturschutzinsel Asinara. Der Landgang führt uns tatsächlich an einen hübschen Strand auf einer kleinen Landzunge vor seichtem türkisfarbenem Wasser, der so voll ist, dass man kaum etwas erkennen kann. Naja, mit den Superlativen ist das bekanntermaßen immer so eine Sache …

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Die neue Ankerwinsch versieht zuverlässig ihren Dienst und tröstet ein wenig über den unfreiwilligen Zwischenstopp und die Bodenbildung im Portemonnaie hinweg.

Hier beginnen nun die wirklich kurzen Distanzen, und wir werden uns daran gewöhnen müssen auch für Buchten- und Inselgespringe wenigstens die Genua rauszuziehen, und sei es nur für eine dreiviertel Stunde.

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In der Cala Reale der alten Gefängnisinsel Asinara hatten wir uns sicherheitshalber telefonisch angemeldet und um eine Festmacherboje beworben. Haha, erst meinten wir, wir hätten uns verfahren, denn die angepeilte Bucht ist leer, aber nein, wir sind tatsächlich die einzigen Gäste, haben die freie Platzwahl und machen an der dem alten Fähranleger nächstgelegenen Tonne fest.

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Es ist so entspannt wie man es erwarten kann. Außer ein paar Fahrzeuge, die Touristen und notwendige Güter über die Insel transportieren und einige wenige elektrische Miet-Golf-Cars gibt es keinen Straßenverkehr. Der Nationalpark ist in allen Ecken beherrscht von hunderten, überwiegend weißen Albino-Eseln (Wikipedia: okay, es sind leuzistische und keine albinistischen, aber wer weiß das schon?) mit blauen Augen, von rot-grüner Macchia, die derzeit sehr beeindruckend aus den Hügeln leuchtet und das gesamte Inselbild prägt und einer Menge verfallender Gebäude. Im Ersten Weltkrieg diente Asinara als Kriegsgefangenenlager. Der aufgrund äußerst miserabler Bedingungen tausenden Toten wird in einem martialischen Beinhaus gedacht, dessen Innenwände meterhoch mit Knochen und Totenschädeln ausgekleidet sind. 

Und da sich die Insel offenbar als Gefängnisinsel bewährt hat, gilt sie als italienisches Alcatraz. Die Tatsache, dass bis Ende der neunziger Jahre ein paar hochrangige Mafiabosse hier eingesessen haben, verhalf dem hübschen Eiland zu einiger Popularität. Man fragt sich schnell warum, aber ein Besuch im gammeligen Mafiaknast gehört offenbar zum touristischen Pflichtprogramm.

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Nach zwei Tagen ist dann aber auch alles bewundert, jede Ruhe genossen, das Golf-Car ausgiebig über die Inselhügel gequält, und es ist Zeit, guten Gewissens weiterzuziehen.

Apropos kurze Distanzen: in weniger als vier Stunden zischen wir mit durchschnittlich acht Knoten über einen den sechs Beaufort entsprechend holprigen Golfo dell Asinara nach Castelsardo. Hübsch gelegen auf einer hügelbesetzten Landzunge mit dem namengebenden Kastell obendrauf. Ein Stadtbesuch mit Besichtigung des sardischen Korbmachermuseums im alten Kastell sowie gelato artigianale gestalten das Pflichtprogramm. Was macht man nicht alles aus Kulturhunger.

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Nach kurzem Nachtankerstopp an der Isola Rossa nähern wir uns dem nördlichsten Punkt der Hauptinsel und finden bei Capo Testa ein vortreffliches Ankerplätzchen. Aus dem Gestein dieser Küstenregion haben die alten Römer Granit gebrochen, und man findet überall Bohrlöcher, vorbearbeitete Quader und Säulen. Wind, Wellen und Wetter haben hier die felsigen Küstenabschnitte in Skulpturengärten verwandelt, die sich vor den karibisch anmutenden Buchten sehr wirkungsvoll präsentieren. Und überall finden wir dazwischen kleine einsame sandige Büchtchen ganz für uns allein.

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Allmählich dämmert uns, weshalb jedermann bei der Erwähnung von Sardiniens Norden ins Schwärmen gerät. Es ist tatsächlich so und deshalb bleiben wir noch einen Tag, bevor wir uns ins Surfer-Paradies Porto Puddu/Porto Liscia begeben. Nach dem Abwettern des angekündigten Mistrals werden wir von hier in den gegenüberliegend angrenzenden Maddalena-Archipel eindringen. Der angekündigte Mistral beschäftigt uns fast eine Woche. Wir haben uns vorgenommen, das Ankergeschirr ein wenig zu testen. 80 Meter Kette auf 17 Meter Tiefe. Zufrieden können wir nun berichten, dass drei Tage bei permanenten 6 – 7 Beaufort und Böen bis 9 kein Problem waren und uns in keinem Augenblick verunsichert haben. So hatte das tagelange Ausharren in der Parkbucht zumindest zu dieser durchaus beruhigenden Erkenntnis geführt. Außerdem haben wir den weltbesten Tante-Emma-Laden gefunden: es gab einfach alles auf minimaler Fläche. Erwähnenswert vor allem die sizilianische Mortadella und Wein und Olivenöl frisch gezapft vom Fass, für kleines Geld, und ein überaus herzliches Betreiberpaar, dass uns bereits beim zweiten Besuch in den elitären Stand der Stammkundschaft, gewissermaßen in den Familienkreis erhob.

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