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Madrugada und Maddalena

So klangvoll der Name Maddalena ist, so schön ist diese Inselgruppe, die Sardinien ganz im Nordosten gewissermaßen bekrönt, auch in Wirklichkeit. Und wieder mal gilt es, Vorurteile über Bord zu werfen. Die Stelle an unserer Bordwand, an der dies passiert, ist mittlerweile schon ziemlich abgewetzt, wie der linke Schuh vom Mädlerpassagen-Faust.

Aber der Reihe nach.

Der Maddalena – Archipel ist ein von vielen, überwiegend steinigen Inseln geprägter Nationalpark. Der Aufenthalt in der Inselgruppe bedarf einer Genehmigung und ist in Abhängigkeit des Preises zeitlich limitiert. Aber die Gebühr dient (hoffentlich) einem guten Zweck und ist tatsächlich jeden Cent wert.

Nach erfolgreichem Abwettern in Porto Puddu – die Wein-, Mortadella-, Bresaola- und Pastavorräte im Lädchen reichlich aufgefüllt – zischen wir die paar Meilen auf die schützende Westseite der Isola Budelli. Ich verkneife mir die Erwähnungen sich ständig wiederholender Assoziationen von Karibik – Qualität. Ohne Übertreibung: Die holt uns hier in jeder Bucht ein, und man kann sich nicht satt sehen, auch wenn man die Schönheiten mit dem einen oder anderen Naturliebhaber teilen muss.

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Für uns hat der Budelli – Aufenthalt jedoch in erster Linie wegen einer Begegnung mit einem äußerst seltenen Inselbewohner besonderen Erinnerungswert. Während eines kraxeligen Landganges über sehr unwegsame zugewachsene Wege auf den höchsten Felshügel – um auch von oben auf die umliegenden Steinhaufen schauen zu können! – hat die wegen der Navigation (auch an Land) immer vorausgehende Skipperin eine unvergessliche Begegnung. Für das Glück, hier auf ein Exemplar der äußerst scheuen und ungiftigen Schwarzen Zornnatter zu treffen, würden Schlangenfreunde sicherlich Geld bezahlen. Für meine extrem schlangenphobische Anke war die Begegnung kostenlos und das ganze Gegenteil von Glück. Unter gellendem Schrei und wie von einer Tarantel gestochen federt sie filmreif einen Meter vom Boden hoch in meine starken Arme. Offenbar hat die schwarze Bestie Ankes zarten Auftritt im weichen Sand nicht wahrgenommen und sie wäre beinahe auf das schwarze Geringel getreten. Das arme Tier schlängelt sich erschrocken unter den nächsten Busch, und ich darf meine nun schockstarre und zitternde Skipperin ritterlich die nächsten 100 Meter in sichereres Terrain tragen.

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Nächster Stopp ist Lavezzi, ein unbewohnter und buchtenreicher Hügel, übersäht mit bizarren Granitfelsen, der mitten in der Straße von Bonifacio liegt und bereits zu Korsika respektive Frankreich gehört. So außergewöhnlich es hier ist, so beliebt ist es auch bei Bootfahrern und dementsprechend gut gefüllt sind die Ankerplätze. Aber an den Abenden – wenn die Tagestouristen wieder abgerückt sind – hat man Insel und Strände und Steine für sich. Es ist schon eine sehr faszinierende Skulpturenschau, die die launige Natur im Lauf der Zeit hier in den windigen Kanal gezaubert hat. Wir umrunden diesen phänomenalen Steingarten sowohl mit dem flotten Dinghi als auch per pedes und können gar nicht genug bekommen.

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Dabei fällt uns ein, dass wir vor zehn Jahren mit größtem Respekt auf diese auch bedrohlich wirkenden steinigen Inseln geblickt haben, als wir anlässlich eines Ostertörns in größerer Gruppe zwei Boote von Sardinien nach Port Santo Stefano überführten und sehr aufgeregt hier durchsegelten. In unseren greenhornigen Hinterköpfen spukten die unzähligen Geschichten über die Gefahren in diesem oft wilden Gewässer herum. Heute ist jedoch alles anders. Es ist ruhig und sonnig und wir queren die Straße, um unseren Anker auch in der legendär karibisch blauen Lagune vor dem Inselchen Piana an der Südostecke Korsikas in den weißen Sand zu graben. Die Bucht liegt wie ein gigantischer Pool zwischen Insel und Festland. Stundenlang tummeln sich ausgelassen Kinder wie Erwachsene im seichten Wasser, das die Sonne in allen Türkistönen funkeln lässt.

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Hier sind wir verführerisch nah dran an Bonifacio.

Wie im letzten Beitrag bereits erwähnt, hatten wir den naheliegenden Plan endlich auf eigenem Kiel nach Bonifacio zu segeln, wenigstens um kurz anzuschlagen. Aber wie so oft herrscht plötzlich zunehmend Druck in dieser Düse und das Wasser bildet eine schaumgekrönte Huckelpiste. Ob der für die nächsten Tage angekündigte Ostwind uns auch wieder herauskommen lässt aus der korsischen Mausefalle scheint unsicher, sodass wir uns das so nah am Wege liegende Sehnsuchtsziel diesmal schenken und in die Maddalenas zurückkehren. Schließlich haben wir dort eine Verabredung. Wir haben uns mit Freunden aus Weimar für ein paar Tage zum Segeln verabredet. Aber bekanntermaßen ist der Teufel ein Eichhörnchen. Hätte sich Anke auf Budelli vom schwarzen Reptil beißen lassen wäre alles ganz anders gekommen. Aber so kommt es zum Klassiker, der einen auch nicht an Bord eines Segelbootes verschont. Was macht man, wenn sich Besuch ankündigt? Man flimmert das Heim, möchte einen guten Eindruck machen. Und was passiert in solchen Momenten? Ein Haushaltsunfall! Anke rutsch auf der frisch gewässerten Cockpitbank aus und kracht – verständlicherweise ohne Arbeitsschutzschuhe – auf den Boden und mit dem linken Fuß gegen die Steuersäule. Da diese nicht nachgibt bleibt dem Mittelfuß nichts anderes übrig und er quittiert den Aufprall mit einem Bruch.

Aber besser Beinbruch als Schiffbruch.

Aus dem gemeinsamen Törn wird also nix, stattdessen startet eine Odyssee italienischer Art durch die Notaufnahme in La Maddalena, mittels Mietwagen und Fährtransfer aufs quasi Festland und ins 50 km entfernte hauptstädtische Krankenhaus von Olbia. Und da wir beim ersten Versuch trotz fünf Stunden Wartezeit um halb zehn abends unverrichteter Dinge den Rückzug antreten mussten bleibt uns der zweite Versuch am kommenden Tag nicht erspart. Leute, Leute! Mecker` noch einer übers deutsche Gesundheitssystem. Derjenige würde hier umgehend eines Besseren belehrt werden! Jedenfalls trägt die Skipperin nun einen wundervollen italienischen Stiefel, in mausgrau, und mit wechselbarem Innenstiefel, was bei den herrschenden Temperaturen durchaus nützlich ist. Obendrein kann man dieses spacige Teil auch im Wasser tragen. Eigentlich hatte sie einen vollkommen anderen Plan hinsichtlich des Erwerbs italienischen Schuhwerks.

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Ankes nunmehr eingeschränkter Aktionsradius bestimmt jetzt die verbleibenden Wochen bis zur Heimreise Ende Juli. Die ersten zwei Wochen sind wir verdonnert am Steg in La Maddalena zu bleiben. Für die kurzen möglichen Landgänge – in die Lieblings-Gelateria La Finistrella oder in nahegelegene Restaurants – hebe ich Anke aufs Boot und wieder runter, was mir, in Abhängigkeit des Geschlechtes unserer Stegnachbarn, mitleidige oder neidische Blicke (und entsprechende Kommentare) einbringt. Möglicherweise beziehen sich die mitleidigen Blicke auch auf eine leicht anzustellende Berechnung zu den anfallenden Liegegebühren für einen 2-wöchigen Hafenaufenthalt in der Hochsaison.

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Den wirklich netten und hilfsbereiten Marina-Jungs und Marineros tut es offenbar auch aufrichtig leid. Sie trösten Anke bei jeder Begegnung und eines nachmittags sind sie alle angetreten, wie zur Visite im Krankenhaus, und überreichen ihr in großer Geste einen Präsentkorb, gefüllt mit sardischen Spezialitäten. Mich trösteten sie, indem sie uns – ohne Nachfrage, also aus eigenem Antrieb – einen mehr als fairen Sonderpreis für die Liegezeit machen. Also, wenn Maddalena, dann Marina Cala Mangiavolpe, for ever.

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Nach zwei Wochen ist Anke soweit mobil, dass wir uns vorsichtig, d.h., bei wenig Wind und damit geringen Bootsbewegungen und somit wenig Lage in die nahegelegene Porto Palma – Bucht verdrücken, uns dort eine freie Mooringtonne greifen können und nun einfach Sommerurlaub machen: Baden, lesen, köcheln, ganz vorsichtig im Dinghi herumfahren, Wein trinken, Anker- und vor allem Tonnenmanöver beobachten und wieder baden, lesen, …

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Bis wir nach Ostia/Rom aufbrechen, um das Boot in einer Marina im Tiber zu verzurren und nach Deutschland zu fliegen. Die 30 Stunden sind zutiefst entspannt, die Nacht sternenklar und die Anzahl der Sternschnuppen, die über den Mittelmeerhimmel fegen, übersteigt unsere möglichen Wünsche bei weitem.

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