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Mehr Sardinien: Landpartien

Wir haben Zeit; Mietwagen sind verführerisch billig; Madrugada liegt sicher. Folgerichtig geht’s wieder los: Gemeinsam mit unseren netten Bootsnachbarn Astrid und Andreas werden wir eine der letzten Muschelseidenspinnerinnen Sardiniens auf der Halbinsel Sant´Antioco besuchen. Als alter Skeptiker hatte ich mir offen gestanden nicht allzu viel von diesem „Museumsbesuch“ versprochen. Wir finden die Adresse im Ortszentrum. Es sieht aus wie ein ganz normales, schlichtes Wohnhaus in einer Altstadtzeile. Kein Schild, kein Zeichen weisen auf irgendetwas hin. Doch man tritt von der Straße aus tatsächlich direkt in Die Wohnstube und Werkstatt einer der letzten Muschelseidenspinnerinnen. Wir hatten einen glücklichen Tag erwischt, denn eine zufällig anwesende Freundin der Spinnerin sprach Deutsch und Englisch und konnte die Berichte von Chiara Vigo übersetzen und uns die interessante Geschichte dieses Jahrhunderte alten und fast vergessenen Handwerks verständlich machen. Den genauen Hergang findet man am besten hinter dem angegebenen Link:

https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/euroblick/euroblick-italien-sardinien-100.html

Ganz kurz: die „Faserbärte“ der Edlen Steckmuschel (bis zu 1 Meter groß) werden geerntet und zu Fäden versponnen, aus denen dann – auf Grund des enormen Aufwandes – eher kleine textile Arbeiten gewoben werden, heutzutage fast ausschließlich für religiöse Anlässe.

Zuweilen hatte die Demonstration des seltenen Handwerks auch etwas Voodoo-artiges, wenn die Dame die feinen Fäden in geheimnisvolle Tinkturen taucht, die kleinen goldigen Knäule besingt und behaucht. Vielleicht wollte sie uns eine kleine Show liefern. Bei der Vergabe von Superlativen ist man ja weltweit gern und schnell dabei.

Jedenfalls war es sehr eindrucksvoll und lehrreich.

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Ein weiteres Muss auf unserer to see list sind die alten Minen. Vor allem der Südwesten Sardiniens ist gut durchlöchert von Hunderten Schächten, aus denen man bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Silber, Zink, Blei, Eisenerz und Kohle aus den Bergen förderte. Einige davon kann man als Museum besuchen. Erwähnen – und unbedingt empfehlen für Sardinienbesucher – möchte ich den Minenhafen Porto Flavia.

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Ein Artikel auf www.sardegnaturismo.it fasst dazu zusammen:

„Ein etwa 600 Meter langer Stollen, von den Bergarbeitern in den Fels gehauen, kommt auf halber Höhe eines Abgrunds zutage, der einen atemberaubenden Blick auf die beeindruckende Klippe von Pan di Zucchero bietet, einem von der Zeit geformten Naturdenkmal von 132 Metern Höhe. Das Bergwerk von Porto Flavia, im Inneren des Klaps, das Masua, im Gebiet von Iglesias, zwischen 1922 und 1924 erbaut, ist ein gewagtes, zwischen Himmel und Meer schwebendes Werk, das das unmittelbare Einschiffen des Minerals, das für die Hütten Nord-Europas bestimmt war, auf die Schiffe ermöglichte, was die Zeiten und die Transportkosten drastisch verkürzte. Zwei übereinander liegende Stollen münden lotrecht über dem Meer, unterbrochen von riesigen Silos, die bis zu 10 Tausend Tonnen Material enthalten können. Im oberen Stollen wurden die Silos beladen, aus dem unteren, der mit Förderband versehen war, wurde dank eines beweglichen Arms Blei und Zink auf den Dampfschiffen eingeschifft.“

Zum einen sieht man faszinierende Ingenieurskunst, zum anderen mag man sich nicht vorstellen unter welchen Bedingungen die armen Kerle schinden mussten. Und wenn der Abbau nicht mehr lukrativ war, waren die Herrschaften wieder ganz schnell weg und hinterließen hunderte Industrieruinen, eine geschändete Landschaft und tausende Arbeitslose.

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Und da stand auch ein Sonderwunsch von mir auf der Ausflugsliste. Das Messermuseum in Arbus, eine der wichtigsten Messerschmieden der Insel. Die Sarden sind berühmte Meister in der Fertigung sehr individueller Messer. Die Ursprünge liegen in der Herstellung von Hirten- und Jagdmessern, Werkzeug also, dass jeder Sarde für den täglichen Gebrauch benötigte. So gibt es noch heute ein paar Werkstätten, kleine Familienbetriebe, aber auch unzählige Hobby-Schmiede. Jedes Messer ist ein Unikat, die Klingen handgeschmiedet, auch die Damaszener, und alle Griffe sind verschieden, da jeweils an die Klingen angepasst und individuell geformt, meist aus ausgesuchten Hörnern von Widdern und Rindern. Und es ist ganz einfach: Meister und Sohn stehen in der museumartigen Schmiede und machen wunderschöne Messer, die der Junge Uwe sofort alle haben möchte. Ein Video im eigentlichen Museum der Schmiedefamilie nebenan kann sich den Prozess in Gänze anschauen. Großartig. Kaufen kann man auch. Und nachdem ich endlich stolz mein Arbureser Hirtenmesser mit Widderhorngriff in meiner Hosentasche verschwinden lassen konnte, hat der Meister keine rechte Lust mehr, lässt den Sohnemann allein weiterwerkeln und lädt uns in nächste Café ein.

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Minenland

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Unterwegs im Südwesten

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